Bebaut und zerschnitten: Der Raum wird eng

von Martin Gerstner, Sonntag Aktuell, Zeitgeschehen

Das Netz wird enger: Autobahnen, Landstraßen, Baumärkte, Bahnlinien und Baggerseen durchwirken die Regionen Baden-Württembergs, schnüren sie ein und pressen Pflanzen und Tiere auf immer engere Lebensräume zusammen. Wissenschaftler haben die fortschreitende Zerschneidung jetzt erstmals gemessen.

Die Akademie für Technikfolgenabschätzung (TA-Akademie) hat einen Maßstab entwickelt, der die Debatte anschaulich macht: Die so genannte effektive Maschenweite als Maß für die unzerschnittenen Flächen im Land. „Dieser Wert gibt an, wie groß die verbliebenen ,Maschen‘ im Netz der Verkehrswege und Siedlungsflächen noch sind.“ Je kleiner der Wert, desto geringer die Fläche.

Mittlerweile ist der Wert sehr klein. Laut einer aktuellen Studie der TA-Akademie ist die effektive Maschenweite in den vergangenen 70 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen, und zwar von 22,92 Quadratkilometer im Jahr 1930 auf heute nur noch 13,66 Quadratkilometer. Die Zahl der unzerschnittenen Gebiete, die größer als 100 Quadratkilometer sind, ist von elf im Jahr 1930 auf heute sechs gesunken. Bei den Gebieten, die größer als 50 Quadratkilometer sind, fiel die Quote von 52 auf 22. Am dramatischsten ist die Abnahme der Maschenweite in den Regionen Karlsruhe, Göppingen, Oberschwaben und der Bodenseeregion.

„Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, für das eine solche Studie vorliegt“, betont Heide Esswein, Mitarbeiterin an dem Projekt. Ihre Erkenntnis: Viele Verkehrswege wirken als Barrieren für die Verbreitung von Tieren. Die Trennung von Lebensräumen durch Straßen oder Bahnlinien sei gravierender als die Versiegelung durch die Besiedlung. „Wenn aber eine Population in einem Gebiet erst einmal erloschen ist, kann die Fläche nicht mehr besiedelt werden, weil benachbarte Populationen die Barrieren nicht mehr überschreiten können.“ Eine biologische Verarmung ist die Folge. „Diese Lebensräume könnten durch Grünbrücken wieder verbunden werden“, so Esswein. In Holland gebe es bereits ein entsprechendes Programm.

Der Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg sieht sich durch die TA-Studie in seinen Befürchtungen bestätigt. „Mit dem Begriff der Maschenweite wird eine bisher verschwommene Debatte präzisiert“, so der LNV-Vorsitzende Ehret gegenüber Sonntag Aktuell. Er wirft der Landesregierung vor, außer vagen Absichtserklärungen nichts zu tun, um den unheilvollen Trend zur Landschaftszerschneidung zu stoppen. „Es gibt zwar einen Umweltplan, mit dem Ziel, die Versiegelung zu begrenzen.“ Doch um Zahlen drücke sich das Landesumweltministerium nach wie vor herum. „Die Rede ist lediglich von einer ,deutlichen Reduzierung‘.“ Was immer das heißen mag.

Die Naturschützer fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen. „Ministerpräsident Erwin Teufel hat das Problem bisher nicht erkannt“, so Ehret. Als ehemaliger Bürgermeister wolle Teufel die heilige Kuh der kommunalen Planungshoheit nicht antasten. Doch gerade die Kirchturmpolitik der Kommunen und der Wettbewerb der Gemeinden untereinander führe zu fortschreitender Naturvernichtung. Sein Verband habe im März eine Resolution verabschiedet, in der die Landesregierung aufgefordert wird, ein Gesetz zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs zu verabschieden. Geschehen sei nichts.

Umwelt-Staatssekretär Stefan Mappus will diesen Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen: „Die Politik hat das Thema nicht vergessen“, so der CDU-Politiker gegenüber Sonntag Aktuell. Baden-Württemberg habe sich als einziges Bundesland mit seinem im Dezember 2000 beschlossenen Umweltplan das verbindliche Ziel gesetzt, beim Thema Flächenverbrauch den Trend zu wenden. „Wir wollen die Inanspruchnahme bislang unbebauter Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke bis zum Jahr 2010 zurückführen.“ Zahlreiche Maßnahmen zur Umsetzung, so Mappus, seien im Umweltplan enthalten, darunter die verdichtete Bauweise bei Gewerbe- und Wohnbebauung.

Gefordert sei ein Bruch mit dem ungebremsten Wachstum der Siedlungs- und der Verkehrsflächen. Um die Bemühungen zu koordinieren, hat die Landesregierung kürzlich einen interministeriellen Arbeitskreis mit allen berührten Ressorts gegründet. Mappus: „Wir sind dabei, im Detail alle den Flächenverbrauch fördernden – und hemmenden – Faktoren zu untersuchen und nach neuen Lösungen zu suchen.“ Vor allem mit den Kommunen werde man in einen intensiven Meinungsaustausch treten. „Denn es geht um deren Entwicklung.“

Auch die TA-Akademie fordert eine Änderung der Siedlungspolitik. „Statt immer neue Bebauungsflächen auf der grünen Wiese zu schaffen, sollte man bestehende Freiflächen in den Innenstädten bebauen“, betont Akademiedirektor Ortwin Renn, der auch Mitglied im Nachhaltigkeitsrat der Landesregierung ist. Und LNV-Vorsitzender Ehret fordert ein Gesetz, mit dem die bestehenden Fördermittel umgeleitet werden. „Es muss attraktiver werden, freie Flächen in den Innenstädten zu bebauen.“ Und umgekehrt: Wer Gelände brachliegen lässt, sollte mehr Steuern zahlen. Auch auf die Art der Bebauung sollte der Gesetzgeber Einfluss nehmen: „Muss es immer der einstöckige Einkaufsmarkt mit dem riesigen Parkplatz sein?“

Das Umweltministerium will mit dem Umweltplan auf die künftigen Bebauungspläne der Kommunen Einfluss nehmen. „Weiter kommt der neue Landesentwicklungsplan, der restriktivere Ziele und Gebote für die Bauleitplanung enthält, hinzu.“ Kommunen und Regionalverbände müssten sich daran halten. Sein Ressort, so Mappus, habe zahlreiche Projekte finanziert und stehe in einem intensiven Austausch mit den Kommunen.

Der Staatssekretär ist im Übrigen des Lobes voll über die Untersuchung der TA-Akademie: „Hier wird methodisch nachvollziehbar ein Instrument geliefert, von dem jeder Spaziergänger zwar eine unmittelbare Anschauung hat, wenn er unberührte Landschaft und Natur erleben will, dessen Auswirkungen auf die Artenvielfalt aber bisher kaum berücksichtigt ist.“

Trotz dieser Einsicht hat LNV-Vorsitzender Ehret wenig Hoffnung auf eine rasche Trendwende. „Das Hochwasser hat den Blick für die Folgen der Landschaftszerschneidung sicherlich geschärft.“ Was aber die Siedlungs- und die Bebauungspolitik der Kommunen betreffe, sei er skeptisch. Auch Stefan Mappus räumt ein, dass die Notwendigkeit eines „qualitativen Wachstums“ vielen kommunalen Entscheidungsträgern schwer falle.

Martin Gerstner


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Aktualisiert 27.07.2006